Stellungnahme von Dr. Ulrike Schrader, Leiterin der Begegnungsstätte Alte Synagoge
zu Äußerungen in der Presseberichterstattung über ein Projekt mit Studierenden zum Thema „Gedenkort Konzentrationslager Kemna“ (Westdeutsche Zeitung vom 16.6.2023)
Wuppertal, den 6.7.2023
Nach einer Phase der selbstkritischen Auseinandersetzung und im vertrauensvollen Austausch mit dem Vorstand des Trägervereins Begegnungsstätte Alte Synagoge sowie nach Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen aus dem Gedenkstättenbereich möchte ich zu einigen Äußerungen zum „Gedenkort Konzentrationslager Kemna“ Stellung beziehen. Diese Äußerungen im Rahmen der Präsentation eines von mir geleiteten Projekts mit Studierenden haben Kritik, Empörung, Wut und Verletzung hervorgerufen. Als Leiterin einer Gedenkstätte für die Opfer des Nationalsozialismus nehme ich das sehr ernst. Mir ist bewusst, dass ich auch für Äußerungen, die missverstanden werden können, die Verantwortung trage, und räume ein, hier Fehler gemacht zu haben.
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Im frühen Konzentrationslager Kemna waren von Juli 1933 bis Januar 1934 über 2500 Männer inhaftiert: Angehörige der KPD, SPD, des Reichsbanners, der Gewerkschaften und andere. Sie waren Gegner der Nationalsozialisten und wurden in der „Kemna“, ein Terrorinstrument der gewaltsamen Machtdurchsetzung, in unvorstellbar grausamer und sadistischer Weise von den Angehörigen der Wachmannschaft, bestehend aus SA-Männern, misshandelt, gefoltert und gedemütigt. Wer dort Täter und wer Opfer war, ist eindeutig. Deshalb ist die Äußerung, die Grenze zwischen Opfern und Tätern sei „schwammig“, zurückzunehmen, denn sie ist im Kontext „Kemna“ falsch und irreführend. Ich bedaure, bei der Präsentationsveranstaltung nicht für die notwendige Klarheit gesorgt zu haben.
Wie aber ist es zu dieser Äußerung gekommen? Diese bezog sich nicht auf den unbezweifelbar eindeutigen Gegensatz von „Tätern“ und „Opfern“ in der „Kemna“, sondern auf das diffuse breite Spektrum von politischen Haltungen und Einstellungen in der deutschen Bevölkerung, auf eine Bandbreite, die von Begeisterten, Mitläufern, Gleichgültigen bis zu Abwartenden, Skeptischen und Gegnern reichte. Diese unterschiedlichen Haltungen und Einstellungen des Jahres 1933 lassen sich etwa ablesen an den Ergebnissen der Reichstags- und der Kommunalwahl im März 1933, obwohl sie bereits in einer Atmosphäre der Einschüchterung und des Terrors stattgefunden hatten.
Bezogen auf die Realität im Konzentrationslager Kemna, in dem ein verbrecherisches Willkürregime mit dem Ziel der Bekämpfung und Ausschaltung des politischen Gegners herrschte, kann also kein Zweifel daran bestehen, wer Opfer und wer Täter gewesen ist. Als Leiterin einer Gedenkstätte für die Opfer des Nationalsozialismus gilt meine Solidarität und mein Mitgefühl den Opfern der Kemna und ihren Angehörigen. Dass sich diejenigen, die sich mit ihnen verbunden fühlen, durch die Äußerung verletzt fühlen, ist absolut nachvollziehbar.
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Meine Äußerung, „Kommunisten waren Gegner der Weimarer Republik, also der Demokratie“, war in dieser Pauschalität irreführend. Denn zwei fatale Schlussfolgerungen können daraus unwillkürlich gezogen werden, die ich selbstverständlich in keiner Weise beabsichtigt habe, weil sie in eklatantem Widerspruch zu den historischen Fakten, zu meinem Auftrag als Gedenkstättenleiterin und zu meiner persönlichen Einstellung stehen: Erstens erweckt diese Äußerung den Anschein, man könne Kommunisten mit Nationalsozialisten in ihrer Gegnerschaft zur Demokratie gleichsetzen, zweitens leistet sie einer besonders in rechten Kreisen verbreiteten Ansicht Vorschub, Kommunisten seien berechtigterweise ins Konzentrationslager verbracht worden und somit Opfer „zweiter Klasse“. Solche möglichen Schlussfolgerungen beschädigen das Ansehen insbesondere der kommunistischen Widerstandskämpfer in der „Kemna“.
Kommunisten, Sozialdemokraten, Reichsbanneraktivisten und Gewerkschafter waren die ersten Opfer des Nationalsozialismus, weil sie seine Gefährlichkeit früh erkannt, ihn mit Überzeugung und Leidenschaft bekämpft und dafür ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben. Diesen Menschen gilt meine Hochachtung und mein Respekt, sie sind Vorbilder für eine wehrhafte Demokratie – damals und heute. Ihre Widerständigkeit, ihr Mut und ihr Einsatz für eine humanere Welt sind auch heute, angesichts der aktuellen Bedrohungen durch Demokratiefeinde von rechts und einem gesellschaftlich weit verbreiteten Misstrauen gegenüber demokratischen Strukturen, uns verbindende Werte. Diese entsprechen auch dem Kern der Satzung des Trägervereins der Begegnungsstätte Alte Synagoge und bilden seit fast 30 Jahren das Fundament und eine Leitlinie meiner Tätigkeit in der Wuppertaler Gedenkstätte. Wissen, Reflexion und Orientierung sind die Maximen der Vermittlungsarbeit unseres Hauses. Die Begegnungsstätte Alte Synagoge bietet auf dieser Basis wie bisher an, mit allen zivilgesellschaftlichen Initiativen und Institutionen zu kooperieren, die sich für die Erinnerungskultur in Wuppertal engagieren.